Umweltspiele mag es ja viele geben, aber anspruchsvolle und komplexe Umweltspiele für Vielspieler sind mir bisher noch nicht all zu viel begegnet. Das Spiel "CO2" füllt diese Lücke aber voll und ganz aus!
CO2 ist anspruchsvoll, sehr komplex und äußerst knifflig. Etwas anderes habe ich auch vom Autor dieses Spiels nicht erwartet; hat er uns doch schon mit dem äußerst anspruchsvollem Weinspiel "Vinhos" erfolgreich "gequält" (im positiven Sinne natürlich!).
Das Spielmaterial ist sehr umfangreich: viele Pappcounter, Holzscheiben und Holzfiguren, Spielkarten, Holzquarder und ein großer (leider auch unübersichtlicher) Spielplan füllen den Karton ordentlich aus und machen das Spiel in doppelter Hinsicht zu einem "Schwergewicht".
Worum geht es? Wir sind Energiekonzernchefs und versuchen, in 6 Dekaden (also 60 Jahre von 1970 bis 2030) den immer größer werdenden Energiebedarf in den Weltregionen Asien, Afrika, Europa, Nord- und Südamerika und Oceanien zu decken. Dazu wird zu Beginn jeder Dekade der Energiebedarf jeder dieser Regionen ermittelt. Ist der Bedarf gedeckt (im Idealfall mit einem "grünen" Kraftwerk, etwa durch Biomasse, Solarenergie etc.), dann ist alles in Ordnung. Falls nicht, muss diese Energiebedarfslücke mit einem fossilen Kraftwerk (Kohle, Öl etc.) geschlossen werden. Dies erhöht natürlich die globale Kohlendioxid-Emmission, die dann entsprechend ansteigt. Erreicht dieser Emmissionswert einen gewissen Level, dann kommen negative Ereignisse ins Spiel. Übersteigt der Emmissionswert den Wert 500, dann endet das Spiel mit der Niederlage aller (das Klima ist dann praktisch unrettbar global gekippt und nichts geht mehr). Gelingt es aber, den Energiebedarf rechtzeitig mit grünen Kraftwerken zu stillen und erreichen die Spieler das Ende der 6 Dekaden, OHNE den Emmissionswert 500 zu übersteigen, dann gewinnt der Spieler mit den meisten Siegpunkten das Spiel. Siegpunkte erlangt man durch Errichtung von grünen Kraftwerken; Punktabzüge gibt es aber z.B. für das Nichtbezahlen können von sogenannten KEZe (Kohlendioxid-Emmissionszertifikate), wenn ich z.B. den Energiebedarf gewisser Regionen nicht decken kann.
Grüne Kraftwerke kann ich aber nur errichten, wenn ich über gewisse Technologien (in Form von Techquadern) verfüge und zusätzlich entsprechendes Wissen erforscht habe. Dazu benötige ich Wissenschaftler, die bestimmte Projekte erforschen und an Energiegipfeln teilnehmen. Außerdem müssen in den einzelnen Regionen gewisse Projekte (z.B. "Sonnenenergie") vorgeschlagen UND erforscht sein (erst dann kann ich in dieser Region z.B. ein Solarkraftwerk bauen). Es bedarf also einer ziemlich komplexen Aktionskette, um grüne Kraftwerke in den Weltregionen zu bauen. Diese Aktionsketten müssen gut im voraus geplant werden (hier sind sicherlich die "Schachspieler" und die "Hardcorestrategiespieler" im Vorteil). Dann gibt es auch noch die Lobbykarten, UN-Zielvorgaben und die Konzernziele, die niemals aus den Augen gelassen werden dürfen.
Alles ist intensiv miteinander verzahnt und simuliert hervorragend das Zusammenspiel von Energiebedarf, Energieversorgung und Umweltverschmutzung sowie den großen Aufwand, mit Umwelttechnologie die globale Umweltverschmutzung zumindest aufzuhalten. Gelingt es z.B. durch flächendeckende Versorgung der Regionen mit grünen Kraftwerken die fossilen Kraftwerke zu verdrängen, dann nimmt weltweit die Emmissionsbelastung sogar ab. Dies zu erreichen ist aber unglaublich schwierig.
Ein wirklich sehr gutes, herausforderndes Spiel, dass die inhaltliche Vorgabe durch hervorragende ineinandergreifende Mechanismen genial umsetzt. Das Spiel ist durchaus auch anstrengend, macht aber trotzdem großen Spaß.
Zwei Kritikpunkte müssen aber trotzdem angesprochen werden:
Zum einen hat das Spiel leider den Sprung vom Prototypen zum stimmungsvollen, atmosphärischen Brettspiel nicht ganz geschafft. Das Spielmaterial ist äußerst abstrakt: Holzscheiben stellen z.B. die Emmissionszertifikate dar und alles wirkt irgendwie sehr funktional. Natürlich funktioniert das Material einwandfrei, keine Frage. Aber irgendwie spielt das Auge doch auch mit, und das wurde doch leider sehr vernachlässigt. Auch die blasse Farbgebung des Spielbretts, der Karten und der Counter trägt nicht unbedingt zur Atmosphäre des Spiels bei.
Zum anderen versäumt die ansonsten durchaus sehr gute Spielregel die übersichtliche Vorstellung und Beschreibung des Spielmaterials. Es gibt eine doppelseitige, sehr sehr unübersichtliche und verwirrende Seite des Spielaufbaus, aus der man sich mühselig die Begrifflichkeiten und das dazugehörende Material heraussuchen kann. Auch werden in der Spielregel auf hinteren Seiten auch einige Counter und die Spielkarten beschrieben. Aber erst einmal tappt man beim Studium der Regeln im Dunkeln: Was sind die "Projektplättchen"? Und was bitteschön sind "regionale Agendaplättchen", und auch die "Energiegipfelplättchen" erschließen sich einem nicht gleich auf Anhieb. Und die fossilen Kraftwerksplättchen sind auf die "Energiebedarfsleiste" zu legen und dann gibt es noch die "Projektkästchen" usw. Also hier hätte ich mir eine übersichtliche Materialbeschreibungsseite in der Spielregel gewünscht. Ich hab mir diese mühevoll selbst erstellt und kann nur jedem empfehlen, dies vor Beginn des Regelstudiums ebenfalls zu tun.
Für das Regelstudium muss man schon einige Zeit einplanen; das ist der Kompexität des Spiels nun einmal geschuldet. Die Spielregel ist aber gut gegliedert und sehr verständlich, so dass es hier keine (weiteren) Probleme geben dürfte.
Das Spiel ist durchaus interaktiv: Man muss, gerade auf dem Gebiet der Forschung und der Projektumsetzungen gut zusammenarbeiten, damit das CO2-Gleichgewicht global nicht kippt und das Spiel nicht vorzeitig für alle verloren ist. Man will aber auch gewinnen und muss hier auch mal schneller, als die Mitspieler sein.
Das Spiel ist auch SOLO gut spielbar. Hier lässt sich das Überschreiten der 500er Emmissionsgrenze allerdings nicht vermeiden. Ziel ist es, bis zu diesem Zeitpunkt so viel Siegpunkte wie möglich zu erzielen. Dafür braucht man Zeit; also sollte man als Solospieler die CO2-Emmissionsleiste stets im Auge behalten und das Voranschreiten der Emmissionen so gut es geht abbremsen.
Alles in allem ein sehr gutes, anspruchsvolles und komplexes Vielspielerspiel. Eine Perle für Strategen, da auch kaum Glück im Spiel ist. Eigentlich ein Spiel, dass ganz klar 6 Punkte verdient hätte. Die o.g. Kritikpunkte muss man aber berücksichtigen und so schwanke ich, ob ich dem Spiel ganz starke 4 Punkte oder doch recht schwache 5 Punke geben soll. Da ich diese Spielperle aber doch den leidenschaftlichen Vielspielern unter euch ans Herz legen will (es lohnt sich wirklich!) gebe ich dem Spiel dann doch wacklige 5 Punkte!